Interviews zur Vergütungsstudie

Für die Erstellung der Studie Vergütung Energie 2016/17 wurden neben empirischen Befunden auch zahlreiche Interviews mit Führungskräften aus den unterschiedlichsten Bereichen der Energiewirtschaft geführt. Ziel der Interviews war insbesondere, die Ergebnisse aus den unterschiedlichen Datensätzen differenzierter betrachten zu können. Im Folgenden finden Sie einige ausgewählte, aus unserer Sicht besonders interessante Gespräche.


Interview mit Jan Rücker,
Betriebsratsvorsitzender Avacon AG


Welche Erwartungen haben die Beschäftigten aus Ihrer Sicht an die Vergütungsstrukturen?

Unsere Vergütungsstruktur ist ausgewogen. Es gibt, glaube ich, bei uns niemanden im Konzern, der sich über seinen Verdienst beklagen kann. Das Problem dabei ist, dass die Vergütungsstrukturen relativ fix sind. Die Erwartungen der Beschäftigten gehen schon in die Richtung, dass man da etwas ändert.

Welche Faktoren sind aus der Erfahrung heraus neben dem reinen Gehalt für die Beschäftigten noch wichtig?

Arbeitszeit ist immer ein sehr wichtiges Thema, das bewegt die Menschen sehr. Wie lange muss ich arbeiten, wie lange darf ich arbeiten, wie lange werde ich hier überhaupt noch gebraucht? Informationen sind sehr wichtig, wenn man etwas wissen möchte bei uns, dann muss man sich darum kümmern, ansonsten bekommt man diese nicht. Das soziale Miteinander ist neben dem Gehalt ebenfalls sehr wichtig. Dinge, die auch ein Stück weit Verbundenheit mit dem Unternehmen signalisieren.

Tarifstufen auf Basis der Betriebszugehörigkeit werden wegen des fehlenden Leistungsbezugs häufig kritisch gesehen. Ist das System aus Ihrer Sicht überholt?

Rücker: Nein, das ist alles andere als überholt. Ich bin hier in einem Betriebsstandort mit Kollegen, die im Außendienst arbeiten, und ich habe schon jemanden besucht, der das schon seit mehr als 40 Jahren macht. Der ist seit über 30 Jahren im Bereitschaftsdienst. Das ist so eine Woche, wo Ihnen auch so ein Stück weit Ihre Freiheit geraubt wird. Die müssen sieben Tage lang 24 Stunden lang am Telefon sein und auch in der Nacht bei Regen, Eis und Schnee losfahren zu Leuten, bei denen es beispielsweise in der Wohnung nach Gas riecht. Da gehört es sich natürlich auch, dass diese Mitarbeiter entsprechend bezahlt werden. Tarifstufen auf Basis der Betriebszugehörigkeit sind keine antiquierte Regelung, sondern gut investiertes Geld. Bei AVACON bzw. im E.ON-Tarif gibt es auch eine Leistungskomponente. Also, Leistung wird noch mal individuell und extra vergütet oder eben nicht.

Wie funktioniert das? Gilt das für jeden?

Das gilt für jeden Tarifangestellten. Es funktioniert es so, dass man im Rahmen von Mitarbeitergesprächen zwischen Teamleiter und Mitarbeiter Ziele festlegt, die dann auch bewertet werden. Ansonsten wird nur Leistung bewertet.

Spüren Sie, dass solche Bestandteile einen Einfluss auf die Motivation oder die Leistung der Mitarbeiter hat?

Wenn Sie als Führungskraft bei engagierten Mitarbeitern Leistung honorieren, dann ist das für Balsam für die Seele.

Wenn Sie die Vergütungsstrukturen in Ihrem Unternehmen frei von allen Restriktionen gestalten könnten – was würden Sie verändern?

Die Vergütungsstrukturen, die wir derzeit haben, sind durchaus gut. Es gibt keine Unterschiede zwischen Mann und Frau, die Vergütung ist bei uns gleich. Leistung wird bewertet. Ich denke mal, man müsste die Tätigkeiten, die sich im Laufe der Jahre verändert haben teilweise neu bewerten.

In der Vergangenheit galten Arbeitsplätze, vor allem im Konzern, immer als absolut sicher. Sind diese Zeiten endgültig vorbei aus Ihrer Sicht?

Die Arbeitsplätze bei AVACON sind so lange sicher, bis jemand einen Trick erfindet, wie man sich Strom abfüllen kann. Solange wir leitungsgebundene Energieträger haben, sind auch die Arbeitsplätze in den Netzen sicher. Ob die Bezahlung auf dem heutigen Niveau bleibt, ist eine andere Frage, da wird sicher noch das ein oder andere passieren, aber Arbeitsplätze, also diejenigen, die Netze betreiben und Netze bebauen, braucht man auch.

In den letzten 15 Jahren haben viele Energieversorger im Bereich Asset Service Personal eingespart, auch vor dem Hintergrund sinkender Erlöspfade. Hatte das bei der AVACON keine personellen Auswirkungen?

Doch, natürlich hatte das Auswirkungen. Wir haben 1999 mit 3.500 Menschen angefangen und haben zwischendurch den Vertrieb und den Shared Service ausgegliedert. Wir haben ebenfalls den Einkauf optimiert. Die Arbeitsintensität nahm durch die Konzentration von Aufgaben ständig zu. Was heute eine Person macht, haben früher drei gemacht.

Ist der Tiefpunkt aus Ihrer Sicht erreicht, also das Potenzial dessen, was man nehmen konnte, oder sagen Sie, dass man weiterhin versuchen wird, Personaleinsparungen vorzunehmen?

Das ist nicht mehr möglich. Die durchgeklonten Herren in Nadelstreifen sind hier erschienen und haben in der Regel nicht gewusst, wie es geht, und haben auch nicht verstanden, wie Energieversorgung funktioniert. Wir kaufen nichts ein, so funktioniert Energieversorgung nicht, es ist nicht wie bei VW.

Ab wann wird sich der demografische Wandel aus Ihrer Sicht bemerkbar machen?

Wahrscheinlich schon ab 2018, das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt derzeit bei 48 Jahren. Aber wir sind auch ganz gut gerüstet. Wir haben über Personalcontrolling eine genaue Aufstellung gemacht. Geclustert nach der Anzahl der Kaufleute, Anzahl der Ingenieure usw. Wir haben Gegenmaßnahmen ergriffen: Wir fahren unsere Ausbildungszahlen entsprechend runter. Von dem Moment, zu dem die junge Frau oder der junge Mann nach der Schule einen Ausbildungsvertrag unterschreibt, bis zu dem Moment, zu dem diese Frau oder dieser Mann in vollem Umfang für unseren Bereitschaftsdienst zur Verfügung steht, vergehen sieben Jahre. Wenn wir heute merken, dass wir jemanden für das Jahr 2018 brauchen, dann hätten wir schon vor sieben Jahren mit der Ausbildung anfangen müssen, sonst wird 2018 knapp. Das ist das Problem, das wir gerade haben.

Wo werden die größten Engpässe entstehen oder umgekehrt, wo werden Menschen die größten Chancen haben?

Junge Menschen werden die größten Chancen haben, wenn sie flexibel sind. Junge Menschen, die sagen, sie möchten einen interessanten Job, der technisch anspruchsvoll ist, und denen es egal ist, wo in Deutschland sie eingesetzt sind, die werden große Chancen haben.


Lesen Sie als nächstes:
unser Interview mit Dr. Kay Dahlke, Geschäftsführer bei der UKA Meißen

Alle weiteren Interviews auf einen Blick

Dr. Kay Dahlke, Geschäftsführer bei der UKA Meißen Interview lesen

Norbert Graefrath, Arbeitsdirektor Rheinenergie AG Interview lesen

Heike Heim, Vorstandsvorsitzende EVO AG Offenbach Interview lesen